Geschichten von Spenderkindern

Ein Spenderkind berichtet von seiner Suche nach Halbgeschwistern: „Ich war gespannt auf die Menschen, die dasselbe Erbgut haben wie ich“

Die 22-jährige Rikke Jespersen hat acht Spendergeschwister, die alle mithilfe des selben Spenders zur Welt gekommen sind. Hier erzählt sie, was sie veranlasste, sich auf die Suche nach ihren Halbgeschwistern zu machen, und welche Gedanken sie dabei beschäftigten.

April 04, 2022
5 Min. Lesedauer
Helle Tyllesen

Wie hast du herausgefunden, dass du ein Spenderkind bist, und wie war deine Reaktion?

„Ich erinnere mich noch, ich war 15 Jahre alt und mitten in der Pubertät. An einem Freitagnachmittag, als wir gerade beim Essen saßen, sagte meine Mutter plötzlich: „Ich muss dir etwas sagen ...“

Dieses Gespräch wurde so etwas wie eine Zäsur für mich. Ich war vollkommen erschüttert und aus der Fassung gebracht. Es fühlte sich einfach so an, als wäre mein ganzes bisheriges Leben eine Lüge gewesen. Es hat mich aus der Bahn geworfen, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Jetzt spielt es für mich keine Rolle mehr. Inzwischen fühlt es sich eher so an, als wäre die Familie einfach ein bisschen größer geworden. Mein Vater ist immer noch mein Vater. Meine Eltern hatten von Anfang an vorgehabt, uns Kindern von unserer Herkunft zu erzählen, aber es war ihnen wichtig, dass mein drei Jahre jüngerer Bruder und ich beide alt genug waren, um zu verstehen, was sie uns da erzählten.“

Wann kam dir die Idee, nach möglichen Spendergeschwistern zu suchen?

Zunächst einmal habe ich intensiv mit Google recherchiert, um besser zu verstehen, was ein Samenspender ist. Meine Eltern haben es mir erklärt, aber ich musste es selbst nachlesen. Außerdem habe ich eine Facebook-Seite gefunden, über die man nach anderen Spenderkindern mit derselben Spendernummer suchen konnte.

Ich wusste, dass mein Spender anonym war, aber ich dachte, es könnte spannend sein, nachzuforschen, ob ich irgendwo Spendergeschwister habe.“

Ich wollte herausfinden, wie ähnlich ich anderen Menschen mit demselben Erbgut sehe.

Warum hast du begonnen, nach Spendergeschwistern zu suchen?

„Mein Traum war es, sowohl den Spender als auch Spendergeschwister zu finden. Ich war da völlig offen. Ich habe mir keine Vorstellung davon gemacht, wie viele Halbgeschwister ich haben könnte. Je mehr, desto besser. Das erhöht den Spaß. Ich dachte: ‚Wir nehmen es, wie es kommt.‘ Ich wollte wissen, wie ähnlich wir ihm sehen, und im Idealfall den Mann kennenlernen, der hinter allem steckt. Ihn fragen, warum er sich zur Samenspende entschlossen hat. Hatte er finanzielle Gründe oder wollte er kinderlosen Menschen helfen? Es ist gar nicht so, dass ich mit bestimmten Motiven ein Problem hätte – es wäre einfach interessant, sie zu erfahren.

Außerdem wollte ich herausfinden, wie ähnlich ich anderen Menschen mit dem selben Erbgut sehe. Anderthalb Monate, nachdem meine Eltern meinem Bruder und mir die Wahrheit gesagt hatten, postete ich in der Facebook-Gruppe eine Nachricht, in der ich nach anderen Spenderkindern mit derselben Spendernummer fragte. Es dauerte nur 24 Stunden. Dann meldete sich eine Frau, die einen Jungen und ein Mädchen vom selben Spender bekommen hatte. Ich hatte gedacht, ich müsste Monate oder vielleicht auch Jahre warten, bevor jemand antwortet.“

Wie ist es weiter gegangen, nachdem der Kontakt hergestellt war?

„Es stellte sich heraus, dass sie nur 12 Kilometer entfernt wohnten. Meine Eltern, mein Bruder und ich sind dann hingefahren, um sie zu treffen. Wir wollten eigentlich nur kurz ‚Hallo‘ sagen und blieben letztendlich ziemlich lange dort. Es war einfach so gemütlich. ‚Wow! Ihr seht euch wirklich so ähnlich!‘ – das kam bei dem Besuch immer wieder zur Sprache. Ich fand heraus, dass meine Halbschwester das gleiche Bett hatte wie ich. Wir fanden das echt lustig. Diese Familie hatte außerdem Kontakt zu zwei Brüdern in Stockholm, die ebenfalls vom selben Spender abstammten. So hatte ich urplötzlich vier Halbgeschwister. In einem solchen Prozess erfährt man eine ganze Menge darüber, wie wichtig das soziale Erbe ist. Wir sind einander optisch recht ähnlich – in unserem Verhalten und Charakter aber deutlich weniger.“

Man erfährt eine ganze Menge darüber, wie bedeutsam das soziale Erbe ist. Wir sind einander optisch recht ähnlich – in unserem Verhalten und Charakter aber deutlich weniger.

Rikke Jespersen ist 22 Jahre alt und lebt in Dänemark. Vor Kurzem hat sie ein Auslandsemester in Reykjavik absolviert. Sie studiert Ingenieurwissenschaften an der Universität von Aarhus. Rikke Jespersens acht Spendergeschwister sind zwischen 17 und 23 Jahre alt.

Wie hast du deine anderen Spendergeschwister gefunden?

„Ein paar Jahre, nachdem ich die ersten vier getroffen hatte, war ich gerade im Ausland unterwegs, als ich von einer Frau angeschrieben wurde, die Mutter eines Jungen und eines Mädchens vom selben Spender war. Wir trafen sie im Sommer 2019, zusammen mit den anderen vier Halbgeschwistern. So wurden aus sechs auf einmal acht. Während der COVID-19-Pandemie schrieben mir eine Schwester und ein Bruder, dass sie ebenfalls Spenderkinder desselben Spenders seien. Wir trafen sie in Aarhus und gingen gemeinsam spazieren. Wenn ich an all meine Halbgeschwister denke, gibt es da etwas, das wir alle gemeinsam haben: Unsere Augenpartie ist sehr charakteristisch sowie unsere Augenbrauen.“

Welche Beziehung habt ihr heute zueinander?

„Ich habe nicht zu all meinen Spendergeschwistern eine enge Beziehung, und das ist für mich auch völlig in Ordnung. Ich muss nicht allen nahe stehen, und sie müssen sich auch nicht notwendigerweise mir nahe fühlen. Es ist nicht so, dass wir uns zu Geburtstagen oder an Weihnachten treffen, aber wir reagieren auf Beiträge der jeweils anderen und schicken bei besonderen Gelegenheiten Glückwünsche über die sozialen Medien. Die letzten beiden sind erst während der Pandemie zu unserem Kreis gestoßen, wir hatten also zwangsläufig bisher nicht viel miteinander zu tun. Im letzten Sommer habe ich versucht, ein Treffen mit allen zu organisieren, aber es war nicht möglich.“

Was bewegt dich heute, wenn du auf alles zurückblickst?

Mir ging es in erster Linie darum, meine eigene Neugier zu befriedigen. Und herauszufinden, wie alles zusammenhängt Mittlerweile ist es mir nicht mehr so wichtig, noch mehr Geschwister zu finden, weshalb ich die Suche beendet habe. Im Grunde habe ich das schon getan, nachdem der Kontakt zu den ersten vier hergestellt war.

Ich würde mit Freude Jeden treffen, der mich in dieser Hinsicht kontaktiert, aber von meiner Seite aus gibt es da keine Forderungen oder Erwartungen. Wenn ich anderen helfen kann, ihre Neugier zu befriedigen, bin ich dazu gerne bereit. Schließlich war das auch mein Antrieb. So hätte ich die Möglichkeit, etwas zurückzugeben.“

Welche Wünsche hast du in Bezug auf eure Beziehung?

„Nichts mehr. Es geht darum, was jede Person für sich möchte Ich glaube nicht, dass meine acht Spendergeschwister aktiv nach noch weiteren Geschwistern forschen. Einige meiner Geschwister haben lesbische Mütter. Sie wussten also schon immer, dass sie mithilfe eines Samenspenders zur Welt kamen. Für meinen Bruder und mich war es ein echter Schock – auch deshalb, weil wir unserem Vater sehr ähnlich sehen.

Wichtig ist, dass man der Sache nicht mehr Gewicht beimisst, als sie wirklich hat. Es sind nicht nur unsere Gene, die bestimmen, wer wir sind. Auch unser soziales Erbe und die Menschen, mit denen wir leben und aufwachsen, spielen eine große Rolle.

Für mich ist die Hauptsache, dass mein Vater immer mein Vater sein wird. Dennoch bin ich froh, dass ich nach meinen Spendergeschwistern gesucht habe. Wenn ich damit gezögert hätte, wäre ich vermutlich immer noch voll unbeantworteter Fragen und wirrer Gedanken.“

Worauf hast du die Antwort gefunden?

„Wie ähnlich ich meinem Vater bin. Und zwar sowohl optisch als auch im Hinblick auf meine Persönlichkeit. Dafür habe ich einfach eine Bestätigung gebraucht. Dass genug von ihm in mir steckt, unabhängig von meiner Herkunft.“